Orte ständigen Wandels

Die Landschaftsbilder von Szilard Huszank

von Harriet Zilch

Der Himmel ist ein Ort ständigen Wandels. Manchmal ist er klar und strahlend hell, manchmal jedoch auch milchig trüb oder dunkel verschattet. Manchmal ist der Himmel einladend und weit, manchmal aber auch abweisend wie eine Wand. Manchmal wird er von Wolken durchzogen, manchmal von Schlieren durchwebt, manchmal von Blitzen durchzuckt. Manchmal ist er weiß und manchmal schwarz, grau, violett oder auch flammend rot. Und dann ist er immer wieder blau, doch auch dieses niemals auf ein und dieselbe Weise. Nie blicken wir zweimal in denselben Himmel. Der englische Kritiker John Ruskin war daher der Meinung, ein Maler habe den Himmel genau zu studieren, um zu versuchen, jenes festzuhalten, was nicht festzuhalten sei. Die Landschaftsbilder von Szilard Huszank erscheinen dem Himmel ähnlich, denn auch sie sind Orte ständigen Wandels. Glaubt der Betrachter seine Landschaften zu kennen, überrascht Huszank mit neuen Kombinationen und Imaginationen.

Als erstes und in der Literatur vielfach zitiertes Landschaftserlebnis gilt Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux im Jahre 1336. In einem Brief an Francesco Dionigi beschreibt dieser, der Aufstieg sei „einzig getrieben von der Begierde, die ungewöhnliche Höhe des Ortes in unmittelbarer Anschauung kennen zu lernen.“ Durch diese rein ästhetische Wahrnehmung transformiert Petrarca, die ihn umgebende Natur in eine genussvoll betrachtete Landschaft. Seine Umschreibung erfüllt das Kriterium von Ernst Bloch, der 1975 definiert, von Landschaft könne erst dann die Rede sein, wenn sich der Mensch ihr „ohne praktischen Zweck in freier, genießender Anschauung zuwendet, um als er selbst in der Natur zu sein“. Die Entdeckung der Landschaft als bildwürdige Gattung der Malerei ließ nach Petrarcas Bergbesteigung nicht lange auf sich warten.

Szilard Huszank entdeckte während eines fünfmonatigen Studienaufenthalts in Marseille die Landschaft als malerisches Sujet. Neben einem umfangreichen Porträtzyklus (Des Visages à Marseille, 2009) entstand nach in und um Marseille aufgenommenen Fotografien eine kleinformatige Serie von Stadtlandschaften (Landschaftsentwurf (Marseille), 2009). Es sind Gemälde, die geschichts- und gedächtnislose Orte zeigen: südliche Vegetation, das Meer, Bergketten, namenlose Architektur, aber auch Werbetafeln an Durchfahrtsstraßen, die als Bild im Bild abstrakte Gemälde zu zeigen scheinen. Durch eine gemalte und das Motiv umfassende Rahmung entstehen verschiedene Farb- und Bildebenen. Auch wird die Assoziation mit einer Lithographie erzeugt, da es bei dem Steindruckverfahren häufig zu ähnlich abgerundeten Umrahmungen kommt. Diese Landschaften aus Marseille erinnern vielfach an die Stadtansichten Edward Hoppers, denn wie dieser wählt Szilard Huszank keine Postkartenansichten, sondern Gemeinplätze ohne besondere Spezifika. Es sind Landschaftsausschnitte, die dem Außenstehenden im Stadtbild nicht aufgefallen wären. Bei Hopper kann ein solcher Ausschnitt die schmucklose, betongraue Einfahrt in einen Bahntunnel sein (Approaching a City, 1946). Bei Huszank ist es beispielsweise ein würfelförmiger Industriebau, der sich in einer Gruppe weiterer anonymer Häuser findet (Landschaftsentwurf (Marseille) Nr. 2, 2009, S. 34). Erst durch die individuelle Motivwahl und das „ins Bild setzen“ werden diese Orte für den Betrachter wahrnehmbar.

Der Vergleich mit Edward Hopper ist provoziert, denn kunsthistorische Bezugnahmen sind im Werk von Szilard Huszank häufig und vielfältig. Immer wieder arbeitet er in bewusster Auseinandersetzung mit malerischen Traditionen. Eine Bildserie aus dem Jahr 2006 ist als Hommage an Balthus angelegt und auch Werktitel wie Beuys beim Wort genommen oder Frühstück im Grauen demonstrieren kunsthistorische Verweise. Dabei denkt Huszank jedoch nicht in definierten Kategorien, sondern kombiniert unbefangen, was ihn künstlerisch reizt. Bisweilen prallen dadurch Welten aufeinander und eine durch Jean-Auguste-Dominique Ingres inspirierte Aktdarstellung findet sich auf einer flammenden Farbwolke von Marc Rothko wieder (Jane und Rothko, 2008). Die kunsthistorische Auseinandersetzung vollzieht sich dabei stets im doppelten Sinne: einerseits sind Szilard Huszanks Gemälde immer eine Reflexion seines Kunstwissens. Sei es das Wissen über die Malereitradition zurückliegender Jahrhunderte oder die Kenntnis über das aktuelle Kunstgeschehen und seine Protagonisten, denn auch Neo Rauch oder Peter Doig werden in seinen Bildern zitiert. Andererseits sind es die traditionellen Gattungen der Malerei, das Porträt, das Interieur, das Stillleben oder auch die Landschaft, die Huszank als Sujet wählt. Dass es gerade für diese Malereigattungen eine tradierte Ikonografie gibt, schreckt ihn dabei nicht. Vielmehr scheinen es diese zentralen Themen der Kunst zu sein, die Huszank faszinieren und an denen er sich in umfangreichen Werkgruppen „abarbeitet“. Dabei findet er eine individuelle Bildlösung, deren Novum oft gerade in der Kombination und im freien Umgang mit den gewählten „Traditionsversatzstücken“ liegt.

Von diesen Marseiller Stadtlandschaften ausgehend, entstehen in der Folgezeit großformatige Landschaftsbilder, die erneut als Serie angelegt sind. Diese Gemälde zeigen nun neben Architektur und südlicher Landschaft auch sommerliche Szenen am Strand, die das Meer und den Himmel als aufgeladene Farbfelder wiedergeben. In dieser Bildserie geht es nicht um die malerische Übertragung von real Gesehenem und fotografisch Festgehaltenem. Vielmehr behandeln jene Gemälde die alte Frage nach der Steigerung der Bildpräsenz durch den freien Umgang mit den künstlerischen Mitteln. Ist der Himmel atmosphärischer und suggestiver in einem intensivierten Blauton, dann wird dieser so gemalt. Huszank nutzt die Landschaft als interpretierbare Vorlage und stellt sich damit erneut in eine lange Tradition. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert wurde die Landschaft immer stärker zu einem Synonym für das Landschaftsbild im Sinne eines gemalten Naturausschnitts. Diese Vorstellung verlangte nach dem die Natur betrachtenden, reflektierenden Gegenüber. Denn im Gegensatz zum Naturbegriff ist die Wortbedeutung von Landschaft immer mit dem Menschenund seiner Wahrnehmung verbunden: Keine Landschaft ohne den Menschen, der sie betrachtet. In ihrer wortgeschichtlichen Bedeutung ist Landschaft ein „geschauter Naturausschnitt“ und somit in ihrer Wahrnehmung stets subjektiv und in ihrer Ausschnitthaftigkeit beispielhaft.

Die aktuellen Bildserien, die Szilard Huszank unter den Titeln Imaginäre Landschaften und Landschaftscollagen zusammenfasst, greifen diese Vorstellung auf und entwickeln sie weiter. Vor allem seine Landschaftscollagen (2010) sind zu subjektiven Naturausschnitten geworden, in denen Huszank die einzelnen Bildelemente wie in einer Collage zusammenfügt. Natur wird in diesen Werken nicht nachgeahmt und in ihrer Vielfalt dokumentiert. Weder geografisch noch jahreszeitlichoder vegetativ muss hier alles zusammenpassen.Huszank zeigt vielmehr Naturausschnitte, die nach rein ästhetischen und kompositorischen Entscheidungen konstruiert sind. In diesen teils auch als Diptychen oder Triptychen angelegten Bildern entwickelt er die perspektivische Tiefe eines Bühnenraums. Dieser Eindruck wird gefördert, indem der Bildvordergrund vielfach von Bäumen verstellt ist und das Auge zunächst diese „Blockade“ überwinden muss, um dann die sich im Hintergrund ausdehnende Landschaft betrachten zu können. Auf dieser Landschaftsbühne setzt Huszank seine Naturversatzstücke wie Requisiten ein. Auch im Umgang mit den malerischen Mitteln ist Szilard Huszank freier geworden. Bei seinen Imaginären Landschaften (2010) bewegt er sich gekonnt zwischen flächiger und pastoser Malerei, zwischen Gegenständlichkeit und deren Auflösung. Landschaftsassoziationen entstehen, ohne sich zu konkretisieren. Auch hier wecken die Darstellungen immer wieder kunsthistorische Bezüge und erinnern an das Farbspektrum und die Lichtinszenierungen des Impressionismus oder an Monets Seerosenbilder.

Die Landschaftsbilder von Szilard Huszank, dieses machen bereits seine Werktitel deutlich, sind nicht real. Es sind imaginäre Naturausschnitte, in denen sich ein farbliches, formales und materielles Spiel mit den einzelnen Bildelementen vollzieht. In diesen subjektiven Landschaften können Kirschblüten auf schneebedeckte Gletscher treffen und Bäume tragen in der Wüste rosa Blüten.

Szilard Huszanks Gemälde sind Puzzle, in denen sich die einzelnen Teile zu einem neuen Ganzen zusammenfinden. Damit sind sie auch ein Synonym für die Landschaft als vom Menschen gesehener und individuell gewählter Naturausschnitt. Auch die Landschaft ist stets nur ein Puzzleteil für das große und unbegrenzte Ganze, für die Natur.

Auszug aus dem Katalog  „Szilard Huszank, consciously – unconsciously , erschienen 2010 im Kerber Verlag.